Ein Kinderbuch über die Sehnsucht
Das Buch stellt die Sehnsucht in den Mittelpunkt und drückt dieses Gefühl mit Hilfe einer kleinen Gedankenreise aus. Ein lyrisches Ich beschreibt das Fehlen einer geliebten Person und schwelgt dann in Gedanken, welche sich um gemeinsame Momente oder empfundene Einsamkeit drehen.
Ich habe meiner Tochter zum Einschlafen diese Geschichte vorgelesen und ich muss sagen, dass sie uns etwas ratlos zurückgelassen hat. Aktuell befinden wir uns in keiner Situation, wo ein akutes Vermissen erlebt wird. Das Buch zielt aber schon ab Seite eins nur auf diese Emotion ab, zeichnet aber kein zusammenhängendes Bild, sondern ergeht sich in vielen Einzelsituationen. So bleibt bis zum Schluss offen, wer aus welchen Gründen vermisst wird und auch das Ende der Geschichte ist unbefriedigend, weil es den Leser mit derselben Ungewissheit entlässt, mit der man zu Beginn gleich konfrontiert wurde.
„Wie? Schon vorbei?“ waren die Worte meiner Tochter, als wir die letzte Seite gelesen hatten. Auch wechseln die gezeichneten Protagonisten von Doppelseite zu Doppelseite, was das Bruchstückhafte der Erzählung nochmals verstärkt.
Dies ist bei Bilderbüchern ja eher selten der Fall, weshalb meine Tochter immer wieder nachfragte, wo zum Beispiel denn jetzt der Opa sei oder „Warum ist da jetzt ein Mädchen?“ Aufgrund dieser Art des Erzählens eignet sich das Buch meiner Meinung nach nicht als reines Vorlesebuch.
Will man jedoch mit seinem Kind aus gegebenem Anlass über das Gefühl der Sehnsucht sprechen und es ergründen, so eignet sich dieses Buch ganz hervorragend dazu.
Was ich beim reinen Vorlesen noch als Kritikpunkte gesehen habe, ermöglicht auf der anderen Seite eine tiefere Auseinandersetzung mit der Materie. Das lyrische Ich lässt die Kinder schnell in die Geschichte abtauchen und die willkürliche Aneinanderreihung von Situationen ermöglichen einen differenzierten Blick auf die angesteuerte Emotion. Der Figurenwechsel auf jeder neuen Doppelseite ist so vielfältig gestaltet, dass eine Vielzahl an Beispielsituationen und Figurenkonstellationen abgedeckt sind und sich jedes Kind wohl irgendwo wiederfinden kann. Leider ist das Ende des Buchs so gestaltet, dass weder eine Auflösung der Situation noch ein echter Trost erfolgt, sodass die erlebten Emotionen noch eine Weile nachhallen.
Die Bilder des Buchs sind kindgerecht und sehr abwechslungsreich gestaltet. Kräftige Farben wechseln sich mit zarten Farben ab, detailreiche Bilder mit sehr übersichtlichen und sehr volle Bilder mit sehr sparsam bemalten. Der Text ist im Reimform geschrieben und in wechselnder Qualität. Einige Textpassagen wirken lyrisch sehr bieder, während andere sehr kunstvoll gereimt sind.
Will man mit seinem Kind die Emotion „Sehnsucht“ thematisieren, so eignet sich dieses Buch ganz hervorragend dafür, da keine übergestülpte Geschichte das Thema verwässert. Sucht man jedoch ein reines Vorlesebuch, so ist es ebendieser fehlende Storybogen, der das Lesevergnügen einschränkt.
Unsere Kinderbuch-Testerin: Frau Sitter hat drei Mädchen. Sie sind 9, 4 und 2 Jahre alt.
Racha Mourtada und Sasha Haddad: Ob nah, ob fern, ich hab dich gern!
arsEdition 2021
32 Seiten, 15€
Ab 3 Jahre